Wenn Geburten seelische Narben hinterlassen

Ca 2-3 % aller Gebärenden werden unter der Geburt traumatisiert
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In Deutschland gebärt eine Frau durchschnittlich 1,5 Kinder in ihrem Leben. Manche gebären nie, andere nur einmal und einige Frauen gebären mehrere Male. Wenn wir heiraten, dann hat jeder dafür Verständnis, dass der Tag unserer Eheschließung der schönste Tag in unserem Leben sein soll. Schließlich heiratet man ja nicht alle Tage!  Wenn wir uns ein schönes Geburtserlebnis erhoffen und nach der Geburt enttäuscht sind, wird oft immer noch mit Unverständnis reagiert.

Es ist ja am Ende alles gut gegangen“ heißt es dann. Ja, Mutter und Kind haben überlebt. Dank modernster Medizin, Hygiene und guter Ernährung dürfen wir das in Deutschland im 21. Jahrhundert in den meisten Fällen erfahren. Aber was genau ist denn „gut gegangen“, wenn Frau nur mit Tränen und schmerzendem Herzen an ihre Entbindung zurück denken kann? Warum versteht denn niemand, dass auch – ja gerade – die Geburt des eigenen Kindes zu den schönsten Momenten in unserem Leben gehören sollte? Und darf!

Die Geburt eines Menschen wird heutzutage als medizinisches Risiko angesehen. Wir haben die Geburten zum Großteil in die Klinik verlagert und sie in abrechnungsfreundliche Schemata, Abläufe und Routinen gepresst. Rein medizinisch betrachtet stellt sich damit auch ein gewisser Erfolg ein – die Mütter- und Kindersterblichkeitsrate ist so gering wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Zum Gesundsein gehört aber auch eine gesunde Psyche. Und die wird leider oft verletzt, unterschätzt und missachtet.

Die Traumatisierung hat Folgen für die ganze Familie
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Über 12.300 Frauen werden jährlich in Deutschland durch die Geburt schwerst traumatisiert und leiden nach der Geburt unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Unter anderem nennen Frauen, die diese Erfahrung gemacht haben den rücksichtslosen Umgang des medizinischen Personals, die Verletzung des Schamgefühls und das Gefühl des Ausgeliefertseins als Auslöser für die Traumatisierung. Natürlich gilt das auch für die Partner der Frauen. Auch sie können während der Geburt traumatisiert werden und unter den Spätfolgen leiden.

 

Zu den Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung gehören:

  • Erinnerungsfetzen, Flashbacks, Albträume
  • wenig Zugang zu eigenen Gefühlen, Stumpfheit, emotionale Taubheit, alles wird gedämpft wahrgenommen
  • aktives Vermeiden von Orten, Tätigkeiten usw, die mit dem Trauma zu tun haben
  • Schlafstörungen
  • Konzentrationsstörungen
  • erhöhte Reizbarkeit (Schreckhaftigkeit)
  • Schwierigkeit Liebe und Nähe zuzulassen
  • Eingeschränkte Lebensfreude
  • Gefühl der Hilflosigkeit
  • Sozialer Rückzug
Die Traumatisierung der Mutter bzw. der Eltern kann zu Schwierigkeiten für die ganze Familie führen.
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Die Traumatisierung bleibt nicht ohne Folgen für das Kind. Es gibt Hinweise darauf, dass die Traumatisierung der Mutter bzw. der Eltern zu einer Bindungsstörung zum Kind führen kann. Traumatisierte Eltern können oft nach der Geburt nicht richtig auf ihr Baby eingehen. Dadurch wird die Bindung zwischen den Eltern und dem Kind gestört, was wiederum das Kind belastet. Das Kind entwickelt Symptome, wie z.B. vermehrtes Schreien, sog. Schlafstörungen, Trennungsängste und Gedeihstörungen.

Langfristig entsteht so für die ganze Familie ein Belastung. Viele Eltern finden sich dann in einer Schreiambulanz wieder. Am Ende erhält das Kind eine Diagnose (z.B. „gestörte Selbstregulation“), dabei ist das Verhalten des Kindes nur das Resultat einer schlimmen Geburt
Was besonders traurig ist: Die Eltern reagieren aufgrund ihrer Traumatisierung weniger empathisch und greifen deshalb oft zu viel drastischeren Erziehungsmethoden (wie z.B. dem Schlaftraining), weil sie überfordert sind. Das Kind erfährt nun eine doppelte Belastung: Zum einen spürt es die Traumatisierung und die reduzierte Reaktion der Eltern UND es erntet zusätzlich weniger Verständnis für sein Verhalten, das ja nur aufgrund der Traumatisierung der Eltern entstanden ist.

 

Muss denn das alles sein? Nein, muss es nicht.

Wenn Geburten immer so traumatisch abgelaufen wären, hätte wohl ein Großteil der Menschheit nicht überlebt.

Geburten können gewaltig sein, ja. Sie können uns an unsere Grenzen bringen, und ja, manchmal kosten sie auch das Leben. Geburten sind schmerzhaft. Und sie können mit Trauer verbunden sein. Vor allem aber sind Geburten eines: Ein Akt der Schöpfung. Die Ankunft eines neuen Menschen. Die größte Kraft-Freisetzung, die Frau jemals in ihrem Leben erleben kann. Geburten sind heilig.

 

Wie können wir es wagen, Frauen, die ein Kind gebären, derart zu behandeln? Wie können wir uns trauen mit Schweigen oder gar Unverständnis zu reagieren, wenn Frauen davon erzählen, wie es ihnen erging unter der Geburt? Wie können wir uns erlauben, dabei zuzusehen, wie jährlich tausende von Gebärenden traumatisiert werden – einfach nur deshalb, weil sie ein Kind zur Welt bringen?

 

Was also können wir tun?

Wir können den Frauen und ihren Partnern Verständnis entgegen bringen. Sie erzählen lassen. Sie darin bestätigen, dass es nicht normal ist, was ihnen passiert ist. Sie darin bestätigen, dass aber ihre Reaktionen darauf normal sind. Wir können ihnen sagen, dass es viele Menschen gibt, die ähnliches erlebt haben. Wir können sie darin ermutigen darüber zu sprechen, sich Hilfe zu holen und sich zu beschweren. Beim Krankenhaus, bei der Krankenkasse, beim Gesundheitsminister usw. Denn wenn wir alle den Mund halten, ändert sich nie etwas.

 

Was kann die Betroffene tun?

Traumatisierte Menschen brauchen Hilfe bei der Aufarbeitung ihres Traumas. Es gibt verschiedenste Therapieformen, die damit arbeiten. Ich biete eine Mischung aus Hypnose und Klopfakupressur an, damit habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht. Meine Erfahrung als Hebamme dient als Fundament für meine Art der Begleitung.

Des weiteren können sich Frauen an die betreuende Hebamme bzw. ihren Gynäkologen/in wenden. Zur Aufarbeitung des Geschehenen braucht es allerdings eine traumaspezifische Begleitung. Der Verein Licht und Schatten bietet Informationen und Hilfe an.

 

Nicola Schmidt sagte einmal: Jedes glückliche Kind macht die Welt zu einem besseren Ort.

Ich möchte mich dem anschließen und sage: Jede glückliche Mutter macht die Welt zu einem besseren Ort. Und JEDES Kind hat eine glückliche Mutter verdient.

 

Meine hebammenspezische Tätigkeit findest du hier www.hypnohebamme.de.

Bildnachweis:

[1] Photo by 🇸🇮 Janko Ferlič - @specialdaddy on Unsplash

[2] Photo by Aditya Romansa on Unsplash

[3] Photo by Julie Johnson on Unsplash